SUNNY by Emanuel Gat & Awir Leon is back! After a half-year break the piece is finally touring again with Thomas Bradley, Pétér Juhász and Emma Mouton joining the cast. Until the end of the year we will still perform in Rouen and Mulhouse (FR). The next year will bring us to several cities in Belgium, France, Germany, Sweden and more.

For all German speakers: Here’s what the German press had to say about last week’s show at Frankfurt LAB during Tanzfestival Rhein-Main, as well as about our performances at DANCE 2017 in Munich and Berlin’s Tanz im August.

Frankfurter Rundschau
Süddeutsche Zeitung
Der Tagesspiegel
arte.tv
Tanznetz.de
Night Out @ Berlin

MIT LEICHTIGKEIT

Ein interessant ausstaffierter Schamane betritt die Bühne des Frankfurt LAB als erstes, er trägt Maske, zotteliges Schaffell vor dem Bauch, eine Art Häkeldeckchen als Rock. Das seltsame Kostüm wird sogleich ergänzt von seltsamen, langsamen Bewegungen. Er geht ab, der Musiker Awir Leon stellt sich hinter sein elektronisches Pult und Mikro, ein Tänzerinnen- und Tänzertrüppchen umringt ihn, Duos bilden sich nach und nach. Diese hakeln sich je individuell ineinander, auf zarte Weise und als würden Puzzleteilchen von selbst ausprobieren, wie sie zusammenpassen. Oft scheint gar keine Berührung stattzufinden.

Im Rahmen des Tanzfestivals Rhein-Main, für das sich in diesem Jahr Mousonturm und Hessisches Staatsballett zusammengetan haben, gastierte der israelische Choreograf Emanuel Gat mit seiner Company und dem einstündigen Stück SUNNY im LAB. Es bezieht seinen Titel von Bobby Hebbs 1966 erstmals veröffentlichtem, seitdem dutzendfach gecovertem Song – und das tut auch Awir Leon gleich zu Beginn mit feiner Intensität.

Seine elektronischen, oft repetitiven Musikstücke sind gar nicht mal sehr originell, tragen aber doch zum atmosphärisch geschlossenen, zurückhaltend heiteren Gesamteindruck des Abends bei. Der Tanz wirkt auf charmante Weise beiläufig, wie just passierend, er ist aber detailliert und fintenreich ausgearbeitet. Die Bewegungssprache hat nichts Abgenütztes, bezirzt vielmehr durch viele schräge kleine Einfälle. Eine übersichtliche, gleichberechtigte Schar – nachdem sich der „Schamane“ umgezogen hat, sind es zehn Tänzer – irrlichtert spielerisch und wie absichtslos durch den Raum; plötzlich wieder entstehen straffe Formationen, hier mal vier, dort mal sechs Darsteller. Dann nehmen alle lächelnd untereinander Kontakt auf, unterhalten sich ein wenig. Dann springen sie mit halb-martialischem Geschrei umher. Und ziehen sich auch mal um, von Wenig-mehr-als-Unterwäsche zu glitzernden Fantasiekostümen zu Trainingsklamotten (kein Kostüm-Verantwortlicher wird genannt).

Emanuel Gat gelingt hier so etwas wie die Quadratur des Tanzkreises: Zwar wird man SUNNY kein bestimmtes Thema und schon gar keine Handlung zuschreiben können, trotzdem scheint es nicht nur abstrakt zu sein, vielmehr Allgemeinmenschliches zu verhandeln. Vielleicht kann man sagen, es beschäftigt sich in weitgefasstem Sinn mit unserem Umgang miteinander. Dieser ist hier im Grundton freundlich, manchmal neckend, manchmal zu Gemeinsamkeit nett herausfordernd.

von Sylvia Staude
Originally published on fr.de

MENSCHENBILDER

Die Inklusion und Integration von Minderheiten in das, was man als gesellschaftliche Norm bezeichnet, ist ein großes Thema heutzutage. Politisch genauso wie künstlerisch. In der Produktion SUNNY von Emanuel Gat sowie in Trajal Harrells CAEN AMOUR wird das beim Dance Festival besonders deutlich.

In erster Linie geht es in SUNNY aber um Bobby Hebbs’ gleichnamigen Song. Der Musiker Awir Leon singt, zerhäckselt und verpuzzelt diesen melancholischen Klassiker live auf der Bühne mit Keyboard, Beats und Computer. Gats zehnköpfige Kompanie findet sich dazu in fünf Paaren zusammen. Bewegungen, die auf Beugungen basieren, ergeben ein schönes Abbild von Zwischenmenschlichkeit: Hingabe, Hinwendung und Demut in schöner Schlichtheit. Später gibt es aggressivere Passagen und Verkleidungen, es gibt Nähe und Distanz – und ein unaufgeregtes, aber reizendes Abbild vom Suchen, Finden und Verlieren der Liebe.

Dass es gleichgeschlechtliche Paare dabei genauso gibt, ist nebensächlich. Denn in Gats Stück findet Gleichberechtigung statt, in dem ihr genau keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dass etwa eine der Tänzerinnen eine Armprothese trägt, fällt erst nach der Hälfte des Stücks auf, so selbstverständlich ist sie Teil der Gruppe und des Bewegungsflusses. Bei Gat wird integriert, aber nicht thematisiert.

Ganz anders ist das in Trajal Harrells Hoochie-Coochie-Paraphrase. Nach dem selben Prinzip, nach dem sich Betroffene ehemalige Schimpfwörter für Minderheiten (etwa “schwul” oder “faggot”) angeeignet haben, um ihnen die Gewalttätigkeit zu nehmen, verfährt auch Harrell. Hoochi Coochi – eine Art amerikanische Art-Deco-Version des Bauchtanzes – wird in ihrer ganzen erotisch ausladenden und auch sexistischen Weise benutzt. Perle Palombe, eine großartig gewitzte Tänzerin, ist als einzige tanzende Frau im Ensemble auch die einzig offensiv Nackte. Die beiden Herren Thibault Lac und Ondrej Vidlar können ihre Körper zwar auf faszinierende Weise sehr sexy und weiblich bewegen, aber sie entblößen sich körperlich nicht. Dafür seelisch. Denn ihre ernsthaft angewendete und tänzerisch großartige Technik gibt diesem Stück, das atmosphärisch aufgebaut ist wie ein Midnight-Movie von John Waters, eine berührende Tiefe voll melancholischer Ernsthaftigkeit abseits aller affektierten Albernheiten.

von Rita Argauer
Originally published on sueddeutsche.de

SONNIGE SYSTEME

Einen tanzenden Eisbären erwartet man nicht unbedingt in Venedig. Doch das ist nicht die einzige Überraschung in Emanuel Gats neuem Stück SUNNY, das bei der Tanz-Biennale in Venedig uraufgeführt wurde. Zugleich wird es das Berliner Festival „Tanz im August“ eröffnen. Ein Tänzer in Eisbärfell und -Maske schiebt den Bärenbauch vor, die tapsige Kreatur führt mit Grazie zeremoniell anmutende Bewegungen aus.

Der Musiker Awir Leon beobachtet aus einer Öffnung im Hintergrund den surrealen Prolog und übernimmt dann das Ruder. Der Franzose hat acht Jahre lang in Emanuel Gats Company getanzt und parallel eine Karriere als Musiker und Produzent gestartet. SUNNY entstand als Zusammenarbeit von Leon und Gat. Das Stück ist beides: Live-Konzert und Tanz-Performance. Am Ende präsentiert Leon eine Gitarren-Version des Soulhits „Sunny“ von Bobby Hebb, doch zunächst kreiert er eine warme Atmosphäre mit sanften Elektrosounds.

Die Tänzer in knappen Trikots und Boxershorts defilieren bis an die Rampe des Teatro alle Tese und schauen herausfordernd ins Publikum. Die Model-Attitüde streifen sie ab, sobald die Bewegung losbricht. Dann tauchen sie ab in ein tiefes Plié oder zeichnen Wellenbewegungen in die Luft. Es ist ein erstes flüchtiges Skizzieren von Bewegungsmöglichkeiten. Die Vielstimmigkeit ist das Sprungbrett, von dem sie sich immer wieder in synchrone Passagen stürzen. SUNNY fängt sonnig an und wird dann immer zerklüfteter. Gat verbindet den analytischen Blick auf den Tanz mit einer großen Freiheit und Offenheit. Ebenso wie die Tänzer ständig ihre Kleider wechseln, werden choreografische Strukturen exponiert und wieder verworfen.

Gat gibt den zehn Tänzern viel Raum für ihren individuellen Ausdruck. Unter den Neuen fällt Annie Hanauer auf, eine Tänzerin mit Armprothese, doch die Beeinträchtigung ist hier kein Thema. Der Akzent liegt auf den mal sinnlichen, mal spröden Duetten, in denen die Möglichkeiten von Nähe ausgehandelt werden. Gen Ende der Aufführung geht bisweilen die Spannung verloren, doch Gat und seine Tänzer arbeiten weiter an ihrem Stück. In Berlin wird man eine andere Version zu sehen bekommen. Sowieso ist jeder Abend anders, dann was man bei Gat sieht, ist Kommunikation in Echtzeit.

Emanuel Gat ist derzeit einer der gefragtesten Choreografen – und einer der avanciertesten. 2007 zog er von Tel Aviv nach Frankreich und hat sich mit seiner Company im südfranzösischen Istres niedergelassen. Wenn man ihn fragt, ob sich seine choreografische Arbeitsweise in Frankreich geändert habe, entgegnet er: „Ich kreiere Tanzstücke aus denselben Gründen wie vor 25 Jahren. Es geht um Zeit und Raum – und den Menschen. Aber die Mittel ändern sich ständig.“ Gat hat die Idee von „sich selbst steuernden Systemen“ in den choreografischen Prozess eingeführt. „Wenn ich früher Choreografien entworfen habe, hatte ich viel Kontrolle. Aber es interessiert mich immer mehr, mit autonomen choreografischen Strukturen zu arbeiten, die nicht von mir kontrolliert werden.“

Gat setzt Vertrauen in die Kreativität und Intelligenz seiner Tänzer. In SUNNY gibt es polyphone Momente, in denen die Bewegungen perfekt ineinandergreifen und die Gruppe wie ein lebender Organismus anmutet, was eine hohe Aufmerksamkeit der Tänzer voraussetzt. Sie müssen spüren, wo sich die anderen im Raum positionieren. So verwundert es nicht, dass Gat seine Tanzperformances mit Fußball vergleicht: „Jedes Fußballspiel ist anders. Es gibt klare Regeln, aber innerhalb dieses Rahmens können die Spieler kreativ sein.“

Diesen Teamgeist will Gat auch dem Nachwuchs nahebringen. Mit Studenten des Biennale College erarbeitet er kürzere Stücke. Sie tanzen in Theatern, Museen und auf Plätzen. Die Berliner Choreografin Isabelle Schad studiert mit 13 Tänzern eine Version ihres Gruppenstücks COLLECTIVE JUMPS ein. Auch an Boris Charmatz’ LEVÉE DES CONFLITS können die jungen Talente sich erproben. Virgilio Sieni, dem künstlerischen Leiter, liegt der Nachwuchs besonders am Herzen. Er zeigt zum Festivalausklang auf dem Campo San Maurizio DANZE SULLE DEBOLLEZZA. Tänze gegen die Schwäche – das ist programmatisch zu verstehen.

von Sandra Luzina
Originally published on tagesspiegel.de

TANZEN, OHNE ANGST VOR ENTSCHEIDUNG

In Berlin trifft sich derzeit internationale Tanzszene. Der „Tanz im August” ist das größte deutsche Tanzfestival. In diesem Jahr ist das Programm noch umfangreicher und vielfältiger. Ein Höhepunkt war der Auftritt der französischen Compagnie von Emanuel Gat, die zusammen mit dem Elektro-Musiker Awir Leon auftrat.

 

 

von Sandra Luzina
Originally published on arte.tv

EIN STÜCK OPTIMISMUS FÜR DIE SINNE

Der israelische Choreograf Emanuel Gat zeigt in Zusammenarbeit mit dem Produzenten und Singer/Songwriter Awir Leon sein neues Stück SUNNY, das im Juni 2016 bei der Biennale in Venedig seine Premiere feierte, nun in Berlin.

Bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung wimmelt es vor dem HAU 1 vor Menschen, mittendrin der Regierende Bürgermeister Michael Müller, streng beobachtet von seinen Bodyguards und plötzlich umzingelt von TänzerInnen in einer Art Schottenrock. Die Stimmung ist gut, die Erwartungen sind hoch. Die Eröffnungsrede von Annemie Vanackere betont die politische Ausrichtung des diesjährigen Festivals, sie spricht von der (körperlichen) Erfahrung des Schwindels in Zeiten des Umbruchs und bestimmt das „in Bewegung kommen“ als Modus, den Ungereimtheiten dieser Welt zu begegnen. Die künstlerische Leiterin des Festivals, Virve Sutinen, hingegen betont ihr Verständnis von Tanz als Methode, um Fragen zu stellen, oder, mit Deborah Hays Worten, als Ort, „to practice the deep ethics of optimism“.

SUNNY indes ist nicht unbedingt das diskursivste, aber doch ein Stück Optimismus für die Sinne. Es ist Livekonzert und tänzerischer Gestaltungsprozess, ästhetisch absolut sehens- und hörenswert. Eine Art Schamane eröffnet die Performance, erkundet vorsichtig den Raum, der in Stille getaucht ist, die nur durch das sachte Klimpern des Kostüms unterbrochen wird. Während die sieben Tänzerinnen und zwei Tänzer schon im Hintergrund zu sehen sind, betritt zunächst Leon die Bühne und beginnt, den legendären Hit „Sunny“ von Boney M. (1976) in abgespeckter und langsamerer Variante zu zitieren. Die tänzerische Bewegung, die jetzt einsetzt, erforscht diese Musik, sie fließt und formiert sich in lasziven Verschachtelungen, ohne abzubilden. Die Körper schaffen einen Raum, der Strukturen offenbart und gleichsam nicht festgelegt ist. Choreografie passiert hier, sie wird erlebbar durch die Impulse, die wie feine Lichtpartikel zwischen den TänzerInnen präsent sind, ohne dass sie vorausgeplanten Mustern folgt. Eine angenehme Entspanntheit macht sich breit – der Tanz darf hier ganz emergentes Phänomen sein. Es ergeben sich die unterschiedlichsten Formationen, von der Schwarmbewegung hin zu Unisonos, stets von Musik und tänzerischem Gegenüber inspiriert und intensiviert.

SUNNY bleibt natürlich nicht der einzige Track der Performance, vielmehr verdichten sich die Klänge streckenweise zu dröhnenden Bässen mit Klubatmosphäre. Korrespondierend dazu zeigen die TänzerInnen einen Catwalk in bunten Fantasiekostümen, die, vielleicht ist das nun doch ein Fünkchen Politik, an eine Burka oder gar an Napoleon erinnern. Man könnte auch an Nicolas Winding Refns Film A NEON DEMON denken – tänzerische Bewegung und Musik jedenfalls kreieren ein anspruchsvolles ästhetisches Ereignis, dessen Energie als Raum voller Impulse wahrnehmbar wird.

Als man während der ruhigeren Endphase des Stücks zwischen den sanften Tönen Leons dann die Sektkorken im Foyer knallen hört und schließlich ein Black die Performance beendet, bestätigt der Applaus eine gelungene Festivaleröffnung.

von Charlotte Riggert
Originally published on tanznetz.de

TANZ AUS DEM MOMENT ZWISCHEN LEBENSFREUDE UND SCHAMANISMUS

Auf der Pressekonferenz fragt Virve Sutinen Emanuel Gat zwanglos, wie er für SUNNY mit den Tänzer*innen seine Choreographie entwickelt habe. Doch der Choreograph und Lichtdesigner Gat erklärt kein ausgeklügeltes Konzept, sondern verweist darauf, dass die Beteiligten ihre eigene Choreographien erarbeitet haben.

Der Choreograph ermöglicht nach Emanuel Gat, dass aus der Praxis zusammen mit Awir Leon, Musik und Live Performance, aus dem Moment eine Choreographie entsteht. Das verändert sehr viel im Verständnis von Tanz und Choreographie. So wurden nicht zuletzt die Kostüme für SUNNY „in Zusammenarbeit mit den Tänzer*innen entworfen“, wie es im Programm formuliert wird. Annie Hanauer, Anastasia Ivanova, Pansun Kim, Michael Löhr, Geneviève Osborne, Milena Twiehaus, Tom Weinberger, Sara Wilhelmsson, Ashley Wright und Daniela Zaghini arbeiten insofern an der Choreographie mit. Sie wird ihnen nicht vorgeschrieben. Michael Löhr eröffnet SUNNY in einer Art Schamanen-Kostüm mit Bärenfell über der Brust, ambivalentem Geschlecht und freiem Po unter Netzstoff. Die Grenzen von Tier oder Mensch, Mann oder Frau, Ritual und Individuum werden porös.

Programmatisch geht es Gat in seinen Choreographien um Strukturen und die Möglichkeiten des Verstehens als „a continuous process of discovering“. Das Verstehen wird dabei keinen festen Regeln unterworfen, vielmehr geschieht es aus dem Moment des Machens von Tanz ohne Musik und dann wieder von Musik und Tanz. Musik wird nicht einfach in Tanz choreographisch umgesetzt, wie es beispielsweise in Kompositionen für Ballett Praxis ist, vielmehr tritt erst der, nennen wir ihn, Schamane auf, macht Schritte, die zum Tanz führen, der die Glöckchen an seinem Kostüm zum Klingen bringt und dann kommt Awir Leon auf die Bühne und lässt den Song “Sunny” erklingen. Es geht ihm um Prozesse des „discovering“, wie er es 20011 für BRILLIANT CORNERS formuliert hat.

My work revolves around a continuous process of discovering and elaborating sets of structures, which hopefully offer makers and audiences, an environment for possible insights and a kind of understanding.

Emanuel Gat arbeitet mit seinen Tänzer*innen teilweise seit 2008 zusammen. Awir Leon war ebenfalls zuvor Tänzer bei Emanuel Gat Dance. Das mehrdeutige Discovering produziert allererst Auf- und Entdeckungen, um sie neu zu covern. Dass Awir Leon vom Tänzer zum Musiker wechselt und das zur Coverversion von Bobby Hebbs Soulsong “Sunny” führt, nach dem dann die ganze Performance benannt wird, hat auch mit den Produktionsprozessen in der Gruppe zu tun. Es geht um den künstlerischen Prozess im Tanz selbst, wenn Gat “statt auf vorab festgelegte Schrittmuster zu bauen, (…) auf Tanz als emergentes Phänomen – ein Momentereignis“ vertraut. Die Ereignishaftigkeit des Tanzes im Konnex mit der Live Performance am Mischpult und PC mit Mikrophon entreißt ihn einer eindeutigen Interpretation. Zwischen Party, Club und Schamanismus als Heilungs- und Kommunikationspraxis entsteht ein Tanztheaterstück, das nicht zuletzt Darstellungsweisen der Clubs aufdeckt.

Nicht zuletzt mit Awir Leon als „Shooting Star der Elektro-Szene“ legt der Programmartikel nahe, dass sich SUNNY in Richtung einer Verclubbung bewegt. Wird hier Club auf der Bühne reproduziert? Oder geht es mit den erarbeiteten Kostümen wie Bärenfell, nacktem Po wie bei Drag Queens und „knappen Trikots” um discovering? Was passt in das Bild der Clubs? Und was nicht? Das Schamanen-Kostüm dürfte selbst für das SchwuZ und Bruce LaBruces SURUBA – Pornceptual-Party overdressed sein. Für Clubs sind dann die Einzelchoreographien auch zu sportlich, artistisch, ballettartig. Und passt die Armprothese in die Begehrensformate und Pillen-Euphorien der Clubs von Berlin, Paris oder Barcelona? Auf die Bildwelten und Praktiken der Clubs wird gleichzeitig angespielt und discovered. Gegen die harte Clubpraxis des Partnerkonsums entstehen in SUNNY ganz andere Momente von Nähe und Kommunikation. Dabei wechseln die Rollen wie Kostüme der einzelnen Tänzer*innen mehrfach. Identitäre Konzepte wie „Ich möchte ein Eisbär sein“ werden unterlaufen oder überzeichnet.

Mit SUNNY eröffnet Emanuel Gat Wahrnehmungsweisen zwischen Fun, Joy und Maschine. SUNNY lässt sich durchaus als ein Wink auf die Maschinenartigkeit der Clubs verstehen. Was nicht weggetanzt werden kann, wird weggeschluckt, -geraucht oder -getrunken. Die Performance der Körper verheißt gerade keine Nähe oder gar Dauer. Wenn Awir Leon sein Pult, an dem er Musik macht, verlässt, hinter die Bühne geht und die Musik weiterläuft, dann kann das ebenso ein poetischer Moment sein wie ein erschreckender. Die Maschine läuft auch ohne den „Shooting Star“ weiter. Die Performerinnen in SUNNY stellen keinen Club dar, sondern lassen ihn ständig durchschimmern, während er auf ganz andere Weise überboten wird. Das macht SUNNY neben dem Jubel ebenso sehr zu einem verstörenden Ereignis, was vielen nur deshalb nicht auffallen mag, weil sie nicht in Clubs gehen und/oder eine romantische Vorstellung von dessen Praktiken als Joy haben.

Die Vielfalt der Tanzaktionen zwischen Solo, Duo und Gruppe ist beachtlich. Dabei fällt die Choreographie nie ganz auseinander, sondern ist höchst aufmerksam und respektvoll aufeinander bezogen. Es geht weniger um Höchstleistungen, die einander ausstechen, als vielmehr um ein Miteinander in der Vielfalt. Diese gesellschaftspolitische Geste gerade jenseits der Clubpraktiken mag durchaus als ein Statement für das Festival verstanden werden. Wie könnte ein gesellschaftlicher Prozess im Tanz aussehen, der Vielfalt praktiziert? Die finnische Festivalleiterin Virve Sutinen mag auch diese Frage bewogen haben, die heterogene Gruppe von Emanuel Gat Dance aus dem Maison de la Danse im provenzalischen Istres in der Nähe von Aix-en-Provence für die Eröffnungsvorstellung einzuladen. SUNNY ist auf seine Weise eine Utopie.

von Torsten Flüh
Originally published on nightoutatberlin.jaxblog.de